2012 Pessach 5772 - 2. Seder im Zelt von Ohel Hachidusch

Pessach 5772 -  2. Seder im Zelt von Ohel Hachidusch
 
Viele hatten bei den Vorbereitungen geholfen: es wurde geputzt und gekaschert mit Marlis,
eingekauft, geschnipselt, gekocht und dekoriert; es wurden Tische und Stühle gerückt und Getränke geschleppt. Die Sedertafel sah nun festlich und einfach wunderschön aus. Die Gäste konnten kommen. Noch schöner als im Vorjahr, sagte Anna nach Künstlerinnenblick. Unser Zelt, frisch geschmückt, zeigte sich also prächtiger als zuvor und barg damit das Versprechen, dass zukünftig vielleicht noch mehr warten wird. Wir waren insgesamt 50 Feiernde. Dies schien schon einmal, angesichts der Ausmaße des Zelts, rein optisch, ein gelungener Umfang für unsere Tischgemeinschaft. Einige waren extra von fern nach Berlin gereist und eine Teilnehmerin hatte noch nie zuvor einen Sederabend erlebt. Die Kinder tummelten sich auf dem Playgroundteppich in der Raummitte.
  

Darum zog sich die mit bunten Frühjahrsblumen geschmückte und mit köstlich aussehenden Dingen reich bestückte Festtafel. Sie bot auch alles Rituelle, was dazu gehörte incl. der Orangen.
                                      
Für deren Platz auf dem Sederteller, so wurde allen vorab erläutert, hatte Susannah Heschel in USA vor Jahren den Anstoß gegeben. Unser Ehrengast war Rabbiner Levinson, der Annemarie Werner als  liebevolle Betreuerin an seiner Seite hatte. Er ließ in seinem greisen Alter keine Gegenwart erkennen, doch später als wir zu den rituellen Speisen kamen und die vertrauten Lieder, Lobsprüche und Psalmen sangen, hatte ich das sichere Gefühl, dass wir alle zusammen feierten. Die Aufmerksamkeit der festlich gekleideten Menschen richtete sich voller Vertrauen auf unsere Kantorin Jalda Rebling  Sie würde uns sicher durch die Haggada führen.
  
Zu Beginn beschrieb sie die Tradition der Trontheimer Juden, die ihre Schabbatzeiten seit jeher nach „Jerusalem time“ ausrichten. Sie erklärte auch, dass es dem Brauch entspräche, einen Jom Tov zeitlich auszudehnen. Dann nahm sie von einer brennenden Kerze Licht ab und entzündete die Festtagskerzen. Kadesch - der erste Schritt! Dann zogen wir weiter, Schritt um Schritt, aus Mitzraim und unserer Befreiung entgegen. Jalda erläuterte, dass die Israeliten ihre Unfreiheit in Mizraim überhaupt erst nach dem Auszug erkennen konnten. Die Spanne beide Seiten wahrzunehmen und die Möglichkeit zu haben, Freiheit wählen zu können, setzte voraus, die Sicherheit Mitzraims zu verlassen und die Unsicherheit des Auszugs zu wagen. Die politische Aktualität der Haggada zeigte unsere Kantorin dann an folgendem Beispiel auf: So heißt es doch dort  an einer Stelle, dass Pharao die Israeliten zu fürchten begann, die zu einem großen Volk herangewachsen waren. Pharao unterstellte den Israeliten, dass sie Krieg unter die Völker bringen würden. Wie alt und wieder neu ist doch dieser Vorwurf! Ich denke, dass immer wieder Kamele um "Pharaostern" von dem "Grass" fressen, im Glauben, es sei längst drüber gewachsen. Wir vergessen nicht und erinnern uns. -  Dann das köstliche ökokoschere Mahl! Bereitet mit Liebe und Erfahrung der Chefinnen Anna und Gaby und ihren Helfern. Dieses wahre Symposiumsmahl spottete allen Frühjahrsdiäten. Das Lamm mundete einfach englisch, die Beilagen übertrumpften einander schon bald im Wettlauf um die Magenrestplätze, auf die sich dann doch noch der munchy Matzenkuchen quetschten konnte und so den Afikoman vorsüßte. Den erhielten wir auch in diesem Jahr wieder von Ben, der das Versteck mit feinem Spürsinn ausmachte, nachdem die anderen Kids aufgeregt daran vorbeigestürmt waren. Geschenkle gabs dann - klar doch - für alle Kinder! Elia erhielt selbstverständlich seinen Becher Wein und Miriam ihr Glas Wasser. Der Ohelseder klang mit Liedern und dem Zählen des 1. Omers aus. Bis nächstes Jahr in Jerusalem! Oder in Berlin? -  Mein Vater, sel. A., sagte früher immer: wir denken jetzt an die fernen Lieben! Ich glaube, ich teile beim Seder mit vielen ein Gefühl der Verbundenheit. Das Bewusstsein, dass überall auf der Welt, rund um die Uhr, wie schon in vielen Generationen zuvor,  Juden mit uns feiern, stärkt.  
Text:   Deborah Williger
Fotos:  Anna Adam, Gaby Nonhoff